Florida – das Land der sehr begrenzten Möglichkeiten. Teil 1

Florida – das Land der sehr begrenzten Möglichkeiten. Teil 1

Auf dem Flucht vor dem Schnee, wenn auch vorerst nicht vor der Kälte (dazu später mehr) sind wir nun in Florida angekommen. Hier werden wir – so ziemlich ohne Plan und uns jetzt noch nicht bekannt – gut zwei Monate verbringen.

Ganz so düster hatten wir uns den „Sunshine State“ nicht vorgestellt…

 

Frustbewältigung

Die Kurzzusamenfassung dieser Zeit: Florida ist für uns hochgradig frustrierend und sehr, sehr teuer. Es gäbe Tolles zu sehen und zu erleben und schöne Orte zum Übernachten, aber das meiste ist – oft schon ein Jahr im Voraus – ausgebucht bzw. erst in der «Nicht-Saison», d.h. ab ca. Mitte April, wieder zu haben. Und damit sind nicht nur Attraktionen wie z.B. ein Ausflug per Fähre zum Dry Tortugas National Park gemeint, sondern alle und sämtliche State Parks und viele andere Übernachtungsmöglichkeiten. „Dank“ Corona sind viel mehr RVs unterweg, worauf die bewohnten Gegenden mit «No Camping by City Ordinance»-Erlassen reagiert haben. D.h. auf dem ganzen Stadtgebiet ist Campen nicht mehr erlaubt, auch wenn nicht überall entsprechende Schilder aufgestellt sind… Bei den allermeisten iOverlander-Plätzen bestehen die neueren Einträge aus einer Beschreibung wie der jeweilige Verfasser mitten in der Nacht von der Polizei aufgefordert wurde, sich sofort zu entfernen. Die einzige Zuflucht bieten noch mehr oder weniger primitive Campsites in State Forests, Wildlife- oder Water Management Areas, die oft entsprechend weit weg von der Zivilisation sind. Leider ist man dort – wohl auch Corona geschuldet – inzwischen vom «Iron Ranger-System», wo man auf first come, first serve-Basis sein Scherflein in einem Couvert in einer Kasse deponiert, auf das online-Bezahlsystem umgestiegen, was zur Folge hat, dass sogar diese Plätze oft ausgebucht sind – auch wenn schliesslich niemand da ist (bei zum Teil sehr günstigen Übernachtungsgebühren von knapp 10 bis wenig über 20 Dollar pro Nacht kann man ja mal reservieren, auch wenn man es dann gar nicht braucht…).
Auch die üblichen Verdächtigen wie Einkaufszentrum-Parkplätze sind inzwischen in den allermeisten Fällen mit neuen no overnight parking-Tafeln garniert. Die einzige Zuflucht in bewohntem Gebiet bieten (noch) die Cracker Barrel Country Stores, wo man praktischerweise auch gleich essen kann. (Wir fragen uns allerdings, wie lange das noch währt, denn einerseits sind diese letzten Zufluchten abends geradezu mit RVs vollgestellt und andererseits benehmen sich übernachtende Camper manchmal schlecht, indem sie tagelang Plätze besetzen und ihre Generatoren 24/7 laufen lassen… ☹ ). Generatoren sind in Amerika überhaupt ein schlimmes Thema, da oft günstige Baustellengeneratoren verwendet werden, die nicht nur ungedämpft sind, sondern aufgrund mangelnder Wartung auch unruhig laufen.
Private Campgrounds sind oft nicht nur komplett überteuert (wir sprechen von meist über 100 Dollar), sondern sowieso meistens bis mindestens Mitte April ausgebucht und / oder nehmen solche Gefährte wie unseres gar nicht, weil sie eine Company Policy haben, die nur schöne, neue Luxus-RVs in ihrem schnieken Resort erlaubt (an einem Ort sind wir nur mit viel Betteln, vorherigem Schicken eines Fotos unseres Gefährts und zwei Telefonaten zu vergleichsweise günstigen 50 Dollar auf einem Overflow-Parkplatz in der Nähe der Mülltonnen untergekommen).

Für alle, die jetzt denken, dass das nun wirklich «Jammern auf hohem Niveau» ist (immerhin dürfen wir ja in Florida sein): Es kostet einfach unglaublich viel Kraft und Nerven und verursacht zwischendurch durchaus auch mal eine Panikattacke, wenn man über Monate fast täglich Schwierigkeiten hat, Basis-Bedürfnisse wie einen wenigstens halbwegs ruhigen Übernachtungsplatz oder auch eine Dusche oder eine Wasserauffüll-Gelegenheit zu finden.

Im Nachhinein betrachtet war natürlich nicht alles schlimm oder schrecklich. Der Frust musste einfach mal raus… Denn trotz der geschilderten Probleme und der vielen Menschen, die – wie wir ja auch – wegen des im Winter recht angenehmen Klimas und der vielfältigen Angebote nach Florida gekommen sind, haben wir viel Schönes und Spannendes erleben, nette Menschen wiedertreffen oder neu kennenlernen dürfen und die nicht immer aber immer öfter warmen Temperaturen genossen. Davon soll dieser Blog berichten.

 

Nach Port Canaveral

Bei dichter Bewölkung gelangen wir am 10. Januar in den «Sunshine State» Florida, der sich die nächsten drei Wochen wettermässig oft von der unfreundlichen Seite zeigen wird. Wie schon 2019 folgt uns nämlich ein hartnäckiger Kaltlufttropfen, der sogar hier zu Frostnächten führt.

Wir halten uns zunächst im Osten auf, wo wir auf dem Scenic Byway entlang der Pazifikküste durch viele, von Strandhäusern geprägte Orte und durch dicht mit Palmen und Live Oaks bewachsene Gegenden fahren. Besonders besuchenswert scheint St. Augustine zu sein, das ein historisches spanisches Fort und eine sehr schöne, europäisch anmutende Altstadt aufweist. Leider ist beides so überlaufen, dass wir nach einem Blick auf den hübschen Leuchtturm (ein Nachbau) weiterfahren. Auch die Küstenstrasse geben wir zugunsten der Interstate bald wieder auf: Es ist aufgrund des dichten Verkehrs und der vielen Verkehrsampeln und All-Way Stops kein Vorwärtskommen.

Und wir wollen vorwärtskommen! Wir werden nämlich einen Raketenstart miterleben!!! Etwas, das wir nicht für möglich gehalten hätten! Ozy hat schon lange den Newsletter der NASA abonniert und wir haben auch immer wieder auf deren Seite geguckt, doch wurden vor dem 28. Februar keine Raketenstarts gelistet, weshalb wir das Projekt für diesmal verworfen haben. Umso grösser die Überraschung, als uns Hansruedi und Astrid Guntli, die wir im November im Bryce Canyon kennengelernt hatten, mitteilen, dass sie am 13. Januar einen Start angucken würden! Was für ein Geburtstagsgeschenk für Ozy! Da müssen wir natürlich hin!!!
(Es stellt sich heraus, dass NASA wohl nur Raketenstarts in ihre Liste aufnimmt, mit denen sie direkt oder indirekt etwas zu tun haben… Auf der von Hansruedi empfohlenen Space Launch Schedule-Site, die es auch als sehr praktische Space Monkey-App gibt, sehen wir dann, dass teils mehrmals pro Woche ein Raketenstart geplant ist! – meistens halt von Elon Musks SpaceX und nicht von der National Aeronautics and Space Administration…).

Wir buchen kurzerhand auf demselben Campground einen Platz (wir realisieren da gar nicht, was für ein Riesen-Glück wir haben, überhaupt einen zu bekommen!) und fahren ganz aufgeregt nach Süden.

 

Der von Guntlis ausgesuchte Jetty Park Campground, Port Canaveral, erweist sich als super cooler Platz. Einerseits recht günstig (für floridanische Verhältnisse), andererseits vis à vis der Space Force Base gelegen und mit 10 km Luftlinie-Entfernung ein Logenplatz für Raketenstarts. Dazu fahren im davor liegenden Kanal Kreuzfahrt-, Casino- und andere Schiffe vorbei und am langen Strand lassen sich schöne Spaziergänge machen. Zudem kann ich meine Lieblinge, die Pelikane, beobachten, die in langen, V-förmigen Formationen über den Himmel ziehen oder in Sturzbomber-Manier nach Fischen tauchen.

Wir freuen uns, Astrid und Hansruedi wiederzusehen und haben bei einem gemeinsamen Znacht wieder viel über die gegenseitigen Erlebnisse zu berichten. Wir lernen auch Gerhard aus Süddeutschland kennen, der mit seinem Bocklet-MAN unterwegs ist, und sprechen kurz mit einem italienischen Overlander-Paar («Stepsover» mit eigenem YouTube-Kanal). Es ist fast wie in alten Zeiten…

 

Der Raketenstart!

Dann aber kommt am nächsten Morgen der grosse Moment!

Wir sehen die weisse Space X-Rakete mit ihren gleissend hell brennenden Triebwerken aufsteigen, bevor das Grollen zu uns dringt. Die Rakete steigt und steigt und scheint über unsere Köpfe zu fliegen. Wir können sie noch lange beobachten, bis sie im Blau des Firmaments verschwindet. – Das war schon super cool!
Es wird aber noch viel cooler, denn die private Firma verwendet ihre 1. Stufe mehrere Male. Je nach Kurs der Rakete landet diese auf einem ferngesteuerten «Drohnenschiff» oder wieder auf dem «Weltraumbahnhof», wie heute!
Etwa zehn Minuten nach dem Start wird die 1. Stufe sichtbar. Ein dunkler Punkt, der schnell und immer schneller zur Erde fällt. 5 km über der Oberfläche zündet sie für einige Sekunden ihre Bremsraketen, fällt dann langsamer und landet schliesslich mit eingeschaltetem Triebwerk wieder an ihrem Ursprungsort! Plötzlich zerreissen zwei laute Knalle die Luft – der Überschallknall der 1. Stufe ist nun auch bei uns angekommen. Wie auch das Grollen der Landung, das wir erst jetzt vernehmen. Absolut beeindruckend!!!

Gerade als wir uns abwenden wollen, wird noch die Landeplattform, das sogenannte «Drohnenschiff», vor uns vorbeigezogen, in Vorbereitung eines weiteren SpaceX-Starts bzw. der Landung der 1. Stufe auf See, die ein paar Tage später stattfinden soll. Hier wird einem wirklich etwas geboten!

 

Auszeit im Jägercamp

Guntlis verabschieden sich nach dem Start leider schon wieder, wir bleiben noch eine Nacht im Jetty Park. In Ermangelung verfügbarer weiterer Nächte (Gerhard schafft es mit viel Beharrungsvermögen, einen Platz für eine weitere Nacht zu ergatten) ziehen wir uns für die nächste Zeit in ein Jägercamp in der Herky Huffmann Wildlife Management Area im Landesinneren zurück. Auf dem Weg erstehen wir an einem Stand an der Strasse Orangen (nicht überraschend in Florida…) und gekochte Erdnüsse, eine Spezialität im Süden. Der Geschmack der gekochten Hülsenfrüchte ist angenehm nussig, hat aber geschmacklich weder mit den aus der Weihnachtszeit bekannten «Spanisch Nüssli» noch mit  Erdnussbutter zu tun. Ich mag sie sehr, Ozy dagegen überhaupt nicht.

Wir hatten Florida gemäss Bildern im Ferienkatalog als «subtropische Vegetation mit weissen Palmenstränden und türkisblauem Wasser» abgespeichert gehabt. Nun lernen wir, dass das Landesinnere zu einem grossen Teil aus der «Florida Dry Prairie» besteht: weite, mit Elliott-Kiefern und Sägepalmen bestandene Ebenen, unterbrochen von Teichen, Sümpfen und kleinen Wasserläufen, die oft mit Sumpfzedern bewachsen und von Live Oaks und grossen Palmettopalmen eingefasst sind. Sandhügelkranich-Paare markieren im lauten Duett ihr Revier, grosse Scharen von Truthahngeiern ziehen ihre Kreise (einmal habe ich 60 Stück gezählt!), es gibt zahlreiche Schlangen, darunter fies giftige (zum Glück haben wir keine nähere Bekanntschaft gemacht) und die wilden Schweine graben den Boden um. Es ist eine ganz eigene Gegend, zugleich gegliedert und eintönig.

Der grösste Teil des primitive campground im Herky Huffmann WMA, wo man netterweise weder reservieren noch bezahlen muss, ist mit Camping-Trailern und RVs in verschiedenen Zuständen des Verfalls besetzt, die hier zu Beginn der Jagdsaison abgestellt werden und während der diversen Jagden als Ferienhäuser bzw. Basislager benutzt werden. Aktuell sind viele Unterkünfte unbewohnt, da die Hochwild-Saison schon vorbei ist und jetzt «nur» Kleinwild (darunter auch wilde Schweine) gejagt werden darf.
Grundsätzlich gefällt es uns nicht schlecht hier, allerdings ist es trotz des Standorts mitten in der Natur alles andere als ruhig: Irgendein Generator läuft immer… Trotzdem bleiben wir schliesslich etwas mehr als zwei Wochen. Einerseits, weil das Wetter gerade ziemlich lausig ist, andererseits, weil wir uns vermutlich Covid eingefangen haben… (wir haben uns nicht testen lassen, nach dem Motto «wozu auch»).
Zwischendurch ist es aber doch so trocken, dass ich spazieren gehen kann (der Florida Trail führt quer übers Gelände, wasserfeste Schuhe empfohlen…) oder auch mal Velo fahren, denn zwischendurch leistet uns Gerhard Gesellschaft und leiht mir netterweise eines seiner Räder.

Da dieser Platz ungefähr 30 km Luftlinie vom Cape Canaveral entfernt ist, können wir sogar von hier aus einen weiteren Raketenstart beobachten! Dieser findet (wegen Verschiebung) abends um neun Uhr statt, wodurch wir die Farbveränderungen des Raketenstrahls super verfolgen und sogar das erste Zünden der Bremsraketen der 1. Stufe sehen können, die dieses Mal auf der Plattform draussen im Meer landet.
Ein weiterer Raketenstart wenige Tage später wird unseren Augen von einer tief hängenden Wolkenschicht verborgen und der nächste Start findet vorerst nicht statt bzw. wird immer um einen Tag verschoben: zunächst wegen der noch dickeren Wolkendecke, dann wegen des zu starken Windes und am nächsten, strahlenden Tag, wird 33 Sekunden vor Lift-off gestoppt, da offenbar ein Kreuzfahrschiff in die Sperrzone gefahren ist und sich nicht rechtzeitig zum Umkehren bewegen liess…

 

Kennedy Space Center…

Wir beschliessen, den gastlichen Ort nun endlich zu verlassen und uns den Start (falls er denn stattfindet) nochmals aus der Nähe anzuschauen. Leider ist der Jetty Park Campground ausgebucht, doch nimmt uns ein RV Resort nicht allzu weit vom Cape Canaveral mit Müh und Not auf (das war das Resort, bei dem wir Fotos von unserem Fahrzeug schicken mussten und dann für 50 $ auf dem Overflow übernachten durften…). Bedingung ist allerdings, dass wir vor fünf Uhr im Büro einchecken, was uns leider nicht allzu viel Zeit lässt, den Kennedy Space Center Visitor Complex zu besuchen.
Da es sowieso viel zu viel zu sehen gibt, erstehen wir gleich ein Multiday Ticket, mit dem wir während eines ganzen Jahrs Zutritt haben (oder hätten…). Das ist sehr praktisch, aber insofern etwas mühsam, als dass man nach dem Ticketkauf noch an einem Schalter vorbei muss, wo die Personalien und ein Foto aufgenommen werden, um das Ticket zu aktivieren (sonst könnte man es ja weitergeben…). Nach einigem Anstehen haben wir es aber dann doch geschafft und reservieren gleich einen Platz im Bus, mit dem wir zum Apollo/Saturn V Center chauffiert werden, wo wir den Rest des Tages verbringen (die Kennedy Space Center Bus-Tour durchs Gelände wird im Moment leider nicht angeboten, aber auch so sieht man schon einiges. Unter anderem die riesige Assembly Hall, in der die Raketen zusammengebaut werden, bevor sie mit einem Crawler-Transporter, dem grössten grössten selbstfahrenden Bauwerk der Welt, zum Launch Pad gefahren werden). Das Apollo/Saturn V Center, das um die riesige Saturn V-Rakete gebaut ist, hat neben dieser auch sonst einiges zu bieten: Die Ausstellungsstücke und Informationen werden den Besuchern mit Hilfe der neuesten Technik nähergebracht und die Filme über das Space Race und die Mondlandung sind regelrechte Shows (inkl. analoger Landung des «Eagle» auf der «Mondoberfläche»). Kurz nach vier fahren wir wieder zurück, wobei wir einige Alligatoren und Schildkröten sichten (der grösste Teil der Basis ist Naturschutzgebiet), und kommen gerade rechtzeitig im Büro des RV Resorts an, um unseren Platz zu bekommen.

 

…und noch ein Raketenstart

Kaum haben wir die Bürokratie erledigt, setzen wir uns wieder ins Auto und fahren Richtung Jetty Park, der 25 km entfernt ist: gleich neben dem für uns nun nicht zugänglichen Campground gibt es eine Boat Ramp mit grossem Parkplatz, von wo aus man die Raketenstarts auch gut beobachten kann.
Der SpaceX-Raketenstart ist auf 18.11 geplant und wir schaffen es gerade rechtzeitig (Feierabend- und Raketenguck-Verkehr)!
Dieses Mal ist das Spektakel besonders eindrücklich, weil es auf der Erde dämmert, aber die Sonne noch die aufsteigende Rakete beleuchtet. Die in der Luft stehende Rauchfahne oberhalb des Startpunkts leuchtet orange, in den höheren Sphären blau-weiss. Wir können die Rakete noch lange von blossem Auge verfolgen und sehen sogar die «Kuppel» aus verdichteter Luft um die Spitze der Rakete. Und nicht nur das: auch die Trennung zwischen Rakete und erster Stufe und wie letztere unter gelegentlichem «Puffen» zur Kurskorrektur wieder zur Erde zurückkehrt, können wir von blossem Auge beobachten! Wie schon beim ersten Mal landet sie wieder auf Cape Canaveral und wir dürfen die Landung, inklusive Überschallknall, noch einmal erleben. Es ist einfach genial!

Für alle Interessierten: SpaceX überträgt die Starts immer live auf YouTube (Link zum Start, den wir beobachtet haben: Raketenstart nach 15:40, Separation 1. Stufe nach 18:40, erste Zündung der Bremsraketen der 1. Stufe nach 20:10, Landung der 1. Stufe nach 23:15).

 

Vince und Mary und ein Ort der Schönheit und Ruhe

Nach einer unruhigen Nacht im RV Park (die I-95 ist sehr nahe…) machen wir uns auf den Weg, um unsere Freundin Mary und ihren Freund Vince zu besuchen, die uns zu sich eingeladen hatten. Wir hatten Mary vor zwei Jahren in Loreto auf der Baja California kennengelernt und freuen uns darauf, sie endlich wieder zu treffen. Nun dürfen wir auch noch Vince kennenlernen, der sich als wahnsinnig netter, zuvorkommender und interessanter Mensch herausstellt.

Mary bekocht uns am Abend und am nächsten Tag machen die beiden mit uns einen Ausflug zu den Bok Tower Gardens, einem bemerkenswerten und wunderschönen Ort. Der Park wurde in den 1920er Jahren vom berühmten Landschaftsarchitekten Frederick Law Olmsted im Auftrag des Verlegers und Philantropen Edward W. Bok angelegt, mit der Aufforderung, einen ausserordentlichen Ort der Schönheit zu schaffen («a spot of beauty second to none in the country»), der «die Seele mit seiner Schönheit und Ruhe berühren» sollte. Bok schenkte den Garten 1929 dem amerikanischen Volk als Dank für die Möglichkeiten, die dieses Land ihm, dem niederländischen Immigranten, geboten hatte. Im Lauf der Zeit wurde der Park um einen Nutzpflanzengarten mit Weiterbildungszentrum, einen tollen Kinder-Garten (der durchaus auch die Erwachsenen animiert…) und den in mediterranem Stil erbauten Landsitz «El Retiro» erweitert. Das Herzstück des Ganzen ist der Singing Tower, ein vom Architekt Milton B. Medary, dem Bauplastiker Lee Lawrie und dem Metalldesigner Samuel Yellin geplantes Bauwerk. Der mit Marmor und Coquille verkleidete und mit glasierter Baukeramik von J. H. Dulles Allen verzierte Turm im Art Deco Stil beherbergt eines der grössten Glockenspiele (Carillon) in den USA, das zwei Mal pro Tag von einem Carilloneur bespielt wird, inklusive Videoübertragung (wenigstens meistens, denn gerade bei unserem Besuch gab es kein Live-Konzert, sondern nur eine Übertragung von der Konserve). Der Park befindet sich auf der höchsten Erhebung Floridas, dem Iron Mountain (90 m / 295 ft ü. M.) und bietet einen guten Überblick über die flache Umgebung. Die Anlage ist einfach nur schön und hat eine unglaublich friedliche und heitere Ausstrahlung, die tatsächlich «die Seele berührt», wie es sich Edward W. Bok gewünscht hatte.
Nach diesem inspirierenden Besuch führen uns Vince und Mary noch ins Museum von Floridas Natural Growers, heute eine der grössten Zitrusfrucht-Genossenschaften der Welt (Slogan: «We own the land, We own the trees, We own the company») und zum Abschluss können wir einen spektakulären Sonnenuntergang über dem Lake Weohyakapka geniessen. Ein wunderschöner, spannender Tag!

 

Vom Garten über einen subtropischen Wald in den Sumpf

Am nächsten Morgen müssen wir uns leider schon wieder voneinander verabschieden – Mary und Vince fahren für eine Woche in die Ferien, für uns geht es weiter nach Süden. Wir danken Euch beiden nochmals ganz herzlich für Eure Gastfreundschaft und die tolle Zeit, die wir mit Euch verbringen durften!

Nach einer Fahrt durch ländliches, landwirtschaftlich genutztes Gebiet und entlang des Lake Okeechobee (von dem wir nichts sehen, da er mit einem grossen Erdwall eingefasst ist), ergattern wir im «Fisheating Creek Outpost» einen Stellplatz für eine Nacht. Platz Nr. 7 wäre eigentlich eine sehr schöne, mitten im «Dschungel» gelegene Site, doch ist auch sie leider etwas laut, da die Strasse in der Nähe vorbeiführt (auch das Eisenbahngeleise, doch gottseidank fahren die laut tutenden Güterzüge von US Sugar nur ein paar Mal tagsüber). Wir würden gerne noch bleiben, aber über das Wochenende ist nach Bescheid der freundlichen Dame im Office alles ausgebucht. Wir ahnen wieder so ein Vorausbuchungs-Problem, denn der riesige Campground ist heute Freitag Abend nur knapp zur Hälfte besetzt…

Egal, am nächsten Tag fahren wir sowieso zum Okaloacoochee Slough State Forest, wo Gerhard wieder einen Platz in einem «Jägercamp» gefunden hat. Wir sind sehr froh, dass er uns auch gleich eingeladen hat, uns zu ihm zu stellen. Die Campsites müssen hier nämlich online reserviert und bezahlt werden und es ist alles ausgebucht – obwohl in Wirklichkeit kaum ein Platz besetzt ist… Wie frustrierend!!!
Dieses Camp ist noch ein bisschen mehr «primitive», indem es nur ein Klo (Toi Toi) beim Zeltplatz gibt, der 1.3 km entfernt ist. Gerhard ist so lieb und leiht uns sein Ersatz-Fahrrad und wir bekommen auf diese Art für einmal sicher genug Bewegung…

Slough (ausgesprochen: slu:) ist übrigens die Bezeichnung für ein grosses Feuchtgebiet, d.h. einen Sumpf, flachen See oder Fluss, der saisonal langsam fliesst (die Everglades werden auch von so einem Slough gespeist). Dadurch haben wir nicht nur Alligatoren als Nachbarn, sondern auch ganz viele «No-see-ums», winzig kleine Stechtierchen, die uns zum Fressen gern haben…
Leider ist das Wetter im Slough meist bewölkt, dafür treffen wir hier einige interessante und nette Menschen, unter anderem Kriste, die im Sommer (!) 2021 den ganzen, über 2’400 km langen Florida Trail alleine (!) erwandert hat (https://www.facebook.com/thewanderingraven2021/).

 

Abenteuer in den Everglades

Unser nächstes Ziel ist der Everglades Nationalpark, ein Ort, wo ich hin wollte, seit ich als Kind Stephen W. Meaders «Abenteuer in den Everglades» gelesen hatte.
Der Weg dorthin führt durch den Lebensraum der wenigen verbliebenen Florida Panther, worauf an den Strassenrändern immer wieder hingewiesen wird (leider gehen trotzdem die meisten Todesfälle auf Kollisionen mit Autos zurück). Gerhard hatte sogar das Glück, einen davon im Okaloacoochee Slough zu sehen!
Wir bekommen auf dem Weg bereits einen Eindruck davon, was uns in den Everglades erwartet, führt der Tamiami-Trail (US-41) doch mitten durch die Zypressensümpfe und des «Sägegras-Meeres» (die Strasse bildet die Grenze zwischen dem Big Cypress National Preserve auf der Nord-, und dem Everglades NP auf der Südseite). Der Eingang zum Hauptteil des Nationalparks liegt auf dessen Ostseite und als wir von der US-41 Richtung Homestead abbiegen, kommen wir uns fast vor wie auf der Baja: Das Gebiet östlich des Parks wird vorwiegend für Nurseries (Baumschulen) genutzt und der Strassenrand wird von vielen kleinen, spanisch beschrifteten Ständen mit Tacos und Früchten gesäumt.

 

Nun aber in die Everglades!

Wie meistens besuchen wir zuerst das Visitor Center, wo wir viel Wissenswertes über die Everglades erfahren. Unter anderem, dass per Auto nur drei Abschnitte zugänglich sind: der Hauptteil mit dem Ernest F. Coe Scenic Drive sowie zwei kleine Abschnitte, die Gulf Coast im Nordwesten bei Everglades City, sowie das Shark Valley im Norden. Der grösste Teil des rund 6’100 km2 grossen Parks kann – wenn überhaupt – nur mit dem Boot oder Kanu erkundet werden, teils auf mehrtägigen Touren.

Auf zwei schönen Trails begegne ich bereits zweien der sechs Ökosysteme des Parks: Der erste Trail durch die Fresh Water Marsh ist nach dem Anhinga, dem Amerikanischen Schlangenhalsvogel benannt (bei den Einheimischen heisst er aufgrund seiner Flügelzeichnung auch «Piano Bird»), der zweite Trail durch einen Tropical Hardwood Hammock, eine «Laubholz-Insel», hat seinen Namen von den Gumbo Limbo-Bäumen, die aufgrund ihrer roten, sich abschälenden Rinde von den Einheimischen auch «Tourist Trees» genannt werden… Vom Pa-hay-okee Overlook (indianisch für Gräserne Wasser) bekommen wir schliesslich einen schönen Überblick über den «Fluss aus Gras», bevor wir uns auf dem Flamingo Campground nahe am Meer niederlassen. Wir konnten vor einigen Tagen 2 Nächte reservieren (ohne Elektrik – und natürlich hat es wieder viele Generatoren in Aktion…) und haben das Glück, dass wir vor Ort noch zwei Nächte dazubuchen können (diesmal im ruhigeren, elektrischen Teil), so dass wir schön Zeit für diese spannende Gegend haben.

Es wimmelt nur so von Tieren: der Campground wird von Scharen von weissen Ibissen bevölkert, die fast wie Hühner herumlaufen, ein grosser Specht bearbeitet einen abgestorbenen Baum, die Rotschulterbussarde tummeln sich in den Bäumen und Büschen, Truthahngeier und Rabengeier vergnügen sich mit Scheibenwischern und Türdichtungen, ein majestätisches Fischadler-Paar nestet gleich bei der Marina und kümmert sich nicht um die begeisterten Fotografen, während sich im Hafen Manatees (Seekühe) tummeln und ein Salzwasser-Krokodil im nahen Kanal geduldig auf einen Happen wartet.  Eine Wanderung durch die Mangroven (das 3. Ökosystem) bietet zwar schöne Blicke auf die Florida Bay, zieht aber leider grosse Scharen anderer Bewohner an: Moskitos! Trotz Insektenspray (ok, nach zwei Jahren vielleicht nicht mehr ganz so wirksam…) werde ich geradezu umschwärmt und kämpfe mich mit den Armen wedelnd durch. Jetzt verstehe ich die im Shop verkauften Kleber «I donated blood in the Everglades» – yup, ich auch und zwar reichlich… (zum Glück haben wir inzwischen einen Insektenstichheiler von Beurer, dessen Hitze das Gift tatsächlich unschädlich macht und somit den Juckreiz verhindert).

 

Am nächsten Tag besuchen wir die HM69 Nike Missile Base, ein eindrückliches Relikt des Kalten Kriegs.

Danach gehe ich auf einen geführten Wet Walk. Da es heute regnet, werde ich nicht nur von unten, sondern auch von oben nass. Aber das ist egal, denn diese «nasse Wanderung» in einen Cypress Dome ist ein absolutes Highlight! Wir sind nur zwei Teilnehmer und die Rangerin leitet uns im knöchel- bis knapp knietiefen Wasser zwischen den mit Farnen, Bromelien und Orchideen bewachsenen hellen Stämmen hindurch. Im Sommer, der wet season, steht das Wasser etwa 30-50 cm höher, aber jetzt im Winter, in der Trockensaison, wird es immer weniger und trocknet sogar teilweise aus. Um überleben zu können, graben die Alligatoren Löcher, in denen das Wasser stehen bleibt. Oft befindet sich so ein Gator Hole im Inneren eines Cypress Dome, der seinen Namen von der unterschiedlichen Höhe der Bäume hat: aussen, wo das Wasser teilweise austrocknet, sind die Bäume klein, aber je weiter wir Richtung Zentrum kommen, desto höher und älter werden sie und desto dichter wird der Bewuchs auf den Bäumen (um das Gator Hole im Zentrum machen wir einen grossen Bogen). Das Wasser selbst ist braun und klar, trotzdem muss man gut aufpassen, dass man sich den Fuss nicht an einer Kniewurzel stösst oder von einem versunkenen Ast zum Stolpern gebracht wird – dagegen hilft der lange Wanderstock, mit dem wir unseren Weg ertasten können. Ausserhalb des Cypress Dome wird es dann teils etwas sumpfig und das Wasser ist bevölkert von Aufwuchs (Periphyton), dicken, weichen Algenmatten, die die Wurzeln und Gräser wie dicke Raupen umgeben und eine für die Wasserqualität wichtige Aufgabe als Filter erfüllen.
Nach etwa zwei Stunden ist die Wanderung leider zu Ende und ich kehre – nass und kalt, aber sehr beeindruckt – zu Ozy zurück.

 

Der nächsten Tag ist zum Glück wieder schön und wir nutzen ihn, um von der Flamingo Marina aus zwei Bootstouren mitzumachen: eine in die Backwaters (Mangroven-Ökosystem), die andere in die Florida Bay / 10’000 Islands (Marine-Ökosystem). Auf beiden Touren lernen wir viel Interessantes über die jeweilige Flora und Fauna und die Geschichte des Nationalparks (zum Beispiel, dass die Reiher aufgrund der Damenhutmode in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts fast ausgestorben wären und von den Wildhütern mit Waffen verteidigt werden mussten, sogar unter Verlust des eigenen Lebens). Zum Abschluss gehe ich noch den Trail durch den schönen Mahogany Hammock und wir werfen einen Blick auf den Long Pine Key Campground, der im Pine Rockland, dem letzten der fünf Ökosysteme des Parks liegt – und ausgebucht ist.

 

Wir haben gesehen, dass das Wetter die nächsten Tage bestenfalls mittelmässig ist, weshalb wir unseren geplanten Ausflug nach Key West verschieben und uns wieder in den Okaloacoochee Slough State Forest zurückziehen, wo Gerhard erneut für drei Nächte einen Platz gefunden hat, den er netterweise wieder mit uns teilt.

Ob wir es nach Key West schaffen und was wir in Florida noch alles erleben lest Ihr im nächsten Blog.

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